Von Rainer Busch
28. Nov 2024
„Wenn alles gut läuft“, sagt Sebastian Meckel, „öffnet sich die Tür der Sonde, die Dockingstation setzt den Roboter aus, er fährt los, macht seine Messungen, kommt zurück und kann wieder aufgeladen werden.“ Ob alles gut läuft, wird der leitende Ingenieur miterleben, von der kühlen Oberfläche des Ekström-Eisschelfs der Antarktis aus, nahe der deutschen Polarforschungsstation Neumayer III. Für das Frühjahr 2027 ist der Feldversuch geplant; zuvor steht im April 2026 ein Test in einem grönländischen Fjord an. „Wenn wir das hinkriegen“, meint Meckel, „das wäre schon ein Ding.“
Bis zu 200 Meter dick ist das Eis des Ekström-Eisschelfs. Der Feldversuch ist gleichwohl nur eine Etappe auf dem Weg zu ganz anderen Tiefen. Ende des Jahrzehnts soll der Roboter in der Dome-C-Region der Antarktis bis auf 4.000 Meter vordringen. Nie zuvor hat sich eine Sonde durch vier Kilometer Eis geschmolzen. Niemals zuvor wurde ein Miniroboter für diese Tiefe konstruiert, der klarkommen muss mit dem enormen Druck und der sich in dieser extremen Umgebung autonom bewegt und entscheidet. Was ihn genau erwartet, wie die Strömungsverhältnisse sind, die Temperaturen, der Salzgehalt und damit die Dichte, die sein Gleitverhalten maßgeblich beeinflusst – man weiß es nicht, muss aber vorbereitet sein.
„TRIPLE“ heißt dieses ambitionierte Verbundprojekt, das auf eine Initiative der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zurückgeht. Das Akronym steht für „Technologies for Rapid Ice Penetration and subglacial Lake Exploration”, auf Deutsch „Technologien für die schnelle Eisdurchdringung und die Erforschung von mit Eis bedeckten Seen“. Es besteht aus mehreren Einzelprojekten, von denen eines vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen geleitet wird: TRIPLE-nanoAUV2. An der Entwicklung des „Autonomous Underwater Vehicle“ (AUV) sind neben Industriepartnern auch das Robotics Innovation Center des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) beteiligt, wie das MARUM der Universität Bremen eine Mitgliedseinrichtung der U Bremen Research Alliance. Mit 2,68 Millionen Euro fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz das Vorhaben.
60 Zentimeter lang, zehn Zentimeter im Durchmesser und mit einer wulstigen Nase: Von außen macht das Fahrzeug nicht viel her. Es ist sein Innenleben, das es so einzigartig macht. Diverse Sensoren, Kameras, Antriebstechnik, Batterie, Computerchips, Elektronik – „alles muss auf engstem Raum funktionieren und die Fähigkeit haben, mit einem Umgebungsdruck von bis zu 400 bar in der Dome-C-Region klarzukommen“, beschreibt Projektleiter Prof. Dr. Ralf Bachmayer vom MARUM eine der Herausforderungen. Manche Komponenten werden unter Druck in Öl arbeiten. Andere wiederum, die in einer Flüssigkeit oder unter hohem Druck nicht funktionieren, müssen entsprechend geschützt werden. Das gesamte AUV ist eine Pionierarbeit, keine Frage.
Auch die Dockingstation, ein robotischer Arm, der das AUV unter dem Eis aussetzt und wieder birgt, entwickelt das MARUM. Wie das Fahrzeug ist sie in der gut fünf Meter langen Sonde verborgen, die Sonde schmilzt sie mit einer Geschwindigkeit von zehn Metern pro Stunde an ihr Ziel. Dort angekommen öffnet sich eine Klappe, der Arm fasst den Miniroboter an der Nase und richtet ihn je nach Strömungsverhältnis aus. Über Sensoren und Kameras kann Sebastian Meckel auf der Oberfläche des Ekström-Eisschelfs die Ausdockung verfolgen. Das Launch & Recovery System dient zudem als Relaisstation: Es überträgt auch die vom Fahrzeug ermittelten Daten.
Das AUV macht sich mit einer Reichweite von maximal 300 Metern auf den Weg, nimmt Wasserproben und führt Messungen durch. Wie aber findet es sich zurecht in dieser unbekannten Umgebung? Woher weiß es, wohin es fahren soll? Und wie findet es wieder zurück? Hier kommt das DFKI ins Spiel. „Wir entwickeln mithilfe von Künstlicher Intelligenz unter anderem die Steuerungssoftware“, sagt Dr. Leif Christensen, Teamleiter Maritime Robotik am DFKI. Dazu gehört etwa die Umgebungserfassung mittels akustischer und optischer Signale sowie die Nahbereichsnavigation für den Dockingvorgang. Das System muss in der Lage sein, die Daten selbst zu interpretieren und eigenständig zu entscheiden: Wie weit komme ich bei dieser Strömung mit meiner Energie, wann ist es Zeit zur Umkehr?
Bis jetzt ist das Ökosystem unter dem Eispanzer weitestgehend Terra incognita; noch niemand ist in die Dome-C-Region vorgedrungen. Existiert unter dem Eis Leben und wenn ja, in welcher Form? „Ein Ziel ist, dies zu untersuchen“, erläutert Bachmayer. Der Ursprung von TRIPLE liegt in der Weltraumforschung, internationale Raumfahrtmissionen wollen den Jupitereismond Europa und den Saturnmond Enceladus erkunden. TRIPLE ist ein kleiner Schritt auf dem Weg dorthin. Die Bedingungen in der Antarktis kommen denen auf den Monden am nächsten. „Das ist das Anspruchsvollste, was wir auf der Erde zu bieten haben“, erläutert Meckel.
Die Weltraumforschung ermöglicht die Entwicklung neuer Technologien, die auch auf der Erde von Nutzen sind. Ein Beispiel hierfür ist das Zusammenspiel der Komponenten auf engstem Raum im AUV. „Die Miniaturisierung ist eine super interessante Herausforderung mit zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten“, meint der Ingenieur und Inhaber der Werner Siemens-Stiftungsprofessur „Marine Umwelttechnologie/Tiefsee Ingenieurwissenschaften“ Bachmayer. Einen möglichen Einsatzbereich nennt Leif Christensen: die Wartung und Kontrolle von Offshore-Windparks. „Für robuste Systeme, die sich langfristig am Meeresboden aufhalten können und mit den harschen Bedingungen klarkommen, gibt es einen absehbar hohen Bedarf.“
Neben dem MARUM der Universität Bremen und dem DFKI ist noch eine weitere Mitgliedseinrichtung der U Bremen Research Alliance an TRIPLE beteiligt: das Alfred-Wegener-Institut (AWI), Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. „TRIPLE Life Detect“ heißt der Projektteil, der Lebensspuren unter dem Eis messen will, nach Kohlen-, Wasser-, Sauer und Stickstoff sucht sowie nach Umwelt-DNA, die Rückschlüsse auf die aktuellen und früheren Bewohner zulässt. Dies geschieht mithilfe von Unterwassersensoren. „Wir entwickeln gemeinsam mit Partnern die wissenschaftlichen Anwendungen zu den Geräten“, erläutert Malte Pallentin, Ingenieur am AWI. Bisher messen AUV in der Tiefsee nur ein, zwei Parameter. Der Miniroboter soll hingegen in der Lage sein, ganz unterschiedliche Spuren des Lebens zu erfassen. Gleichzeitig schrumpfen die Sensoren. „Das ist für Tiefenanforderungen weltweit einmalig“, weiß Pallentin. Für das AWI, das vorwiegend in der Arktis und der Antarktis forscht, ist die Entwicklung des Miniroboters eine wichtige Innovation. „Die Regionen unter dem Schelfeis sind zu 99 Prozent unbekannt. Dort Daten zu sammeln, ist extrem schwierig“, sagt Pallentin. „Wir hoffen, mit dieser Technologie in neue Regionen vorstoßen zu können und dort Messungen durchzuführen, die bislang nicht möglich gewesen sind.“
Pallentin ist gebürtiger Bremerhavener und nach langjähriger Arbeit am Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Bachmayer wurde in Süddeutschland geboren und hat lange in den USA und Kanada gearbeitet. Christensen ist in der Nähe Kiels aufgewachsen, Meckel stammt aus Thüringen – sie hat die Wissenschaft zu Wahl-Bremern gemacht.
„Mit der Verbindung von Meerestechnik und Raumfahrt innerhalb der U Bremen Research Alliance ist der Standort prädestiniert für ein Projekt wie TRIPLE“, findet Bachmayer. „In Deutschland, ja in ganz Europa, gibt es nichts Vergleichbares.“ Das sieht Christensen ähnlich: „Ganz viele Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen sind über lange Zeiträume an einem solchen Projekt beteiligt. Wenn man dann miterlebt, wie der gemeinsam entwickelte Roboter schwimmt – das ist eine Riesenbelohnung“, beschreibt er die Faszination an der Forschung.
Bis es so weit ist, bis der Miniroboter erstmals schwimmt, wird noch einige Zeit vergehen. Derzeit wird das AUV zusammengebaut, dann stehen zahlreiche Tests an, darunter auch im großen Testbecken der Maritimen Explorationshalle des DFKI. „Die technischen Anforderungen sind enorm. Es kann ganz viel schief gehen“, dämpft Meckel die Erwartungen. Die Risiken der Expedition in die eisigen Tiefen der Antarktis seien allen bewusst, berichtet Bachmayer. „Für uns ist das nicht beängstigend, sondern eher inspirierend.“
TRIPLE für Studierende
Nicht nur Wissenschaftler:innen, auch Masterstudierende des Fachbereichs 3 Mathematik und Informatik der Universität Bremen sind in die Forschung einbezogen. In „Triple-Sim“, so der Name des Masterprojekts, haben sie eine grafische Simulationsumgebung aufgebaut, in der sich das Fahrzeug bewegt. In ihr lässt sich auch die Sensorik überprüfen, indem sie etwa mit Fehlern ausgestattet wird. Dann sieht man, wie das Fahrzeug darauf reagiert. Von der Interaktion mit den Studierenden ist Prof. Dr. Ralf Bachmayer sehr angetan: „Das haben sie noch besser gemacht als erwartet. Ich denke, dass wir das Angebot ausbauen werden.“