Besser einkaufen mit Künstlicher Intelligenz

Von dem Projekt haben alle etwas: die Unternehmen, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Kunden. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz und  Robotik wollen Forschende aus der U Bremen Research  Alliance im Projekt „Knowledge4Retail“ den Einzelhandel in ein neues Zeitalter katapultieren. „Wir wollen Pilot anwendungen entwickeln, die die Leute begeistern“, umreißt Professor Michael Beetz das Ziel.

Von Timo Joost

Roboter-Greifarm
Beschreibung 1   © orem ipsum dolor sit.

Die Regale im Raum 2.62 des Instituts für Künstliche Intelligenz (IAI) an der Universität Bremen sind gut bestückt. In einigen stehen Glasflaschen mit Olivenöl, Müslipackungen oder Waschmittel. In anderen wiederum hängen Zahnbürsten oder Kosmetika. Vor einem Regal macht „Donbot“ halt, ein hüfthoher, autonom fahrender Roboter, ausgestattet mit  Laserscanner, 3D-Kamera, Sensoren und Leichtbauarm. Systema-tisch scannt er das Warengestell ab. Das Resultat ist wenige Meter entfernt auf einem großen Bildschirm zu sehen. Langsam bauen sich darauf die Regalböden mit den Produkten auf.

Der Nachbau eines Drogeriemarktes ist das Testfeld eines Vorhabens, von dem Professor Michael Beetz überzeugt ist, dass es schon jetzt ein großer Erfolg für Bremen ist: weil das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderte Vorhaben mit ins-gesamt 12,9 Millionen Euro ausgestattet ist und sich im Wettbewerb mit 130 Ideen als eine von 16 hat durchsetzen können. Und weil es ein Dutzend Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammenbringt, von denen mehr als die Hälfte aus Bremen stammen.

Vor allem aber, weil es das Bundesland als Innovationsführer einer Schlüsseltechnologie, der Künstlichen Intelligenz (KI), auf der bundesdeutschen KI-Landkarte verankert. Dass dies so ist, hat nicht zuletzt mit  Michael Beetz selbst zu tun. Erst kürzlich hat die chinesische Universität Tsinghua dem Direktor des IAI eine welt-weit führende Rolle in der Wissenschaftswelt attestiert; in dem internationalen Ranking der Hochschule erreichte er in der Kategorie Robotik Rang 4. 

„Das System soll in der Lage sein, Fragen zu beantworten.“

Michael Beetz
Ausgezeichneter KI-Forscher: Prof. Michael Beetz vom Institut für Künstliche Intelligenz an der Universität Bremen   © Lorem ipsum Donor

„Wenn man einen Roboter in einer ihm unbekannten Umgebung einsetzt, er selbstständig eine Karte dieser Umgebung erstellt und darauf basierend eine sinnvolle Aufgabe erfüllt, ist dies ein großer Schritt und eins der wesentlichen Forschungs ziele der autonomen Robotik“, schwärmt Beetz. In „Knowledge4Retail“ – kurz: K4R – geht es jedoch nicht nur um die hilfreiche Nutzung von automatisierten Systemen. Es geht um die Verknüpfung von analoger und digitaler Welt, um eine neue Form von Informationssystem und des Einkaufens, um die intelligente Verknüpfung von Daten. „Wir wollen“, beschreibt der Wissenschaftler die Grundidee, „die Einzelhandelswelt nicht nur mit der Qualität eines modernen Computerspiels visualisieren, sondern das System soll in der Lage sein, Fragen zu beantworten.“
Wo steht das Müsli, das meinen Diätvorschriften entspricht, wo die Bioprodukte? Wie hoch ist der Zuckeranteil in der Pizza? Ist in dem Shampoo Mikroplastik enthalten? Die Kunden sollen im Netz ihr  Geschäft vorfinden, detailgetreu nachgebildet von Robotern und verknüpft mit Produktinformationen, die in einer Wissensdatenbank hinterlegt sind. Per App können sie in diesem digitalen Zwilling das gewünschte Produkt ansteuern, in den Warenkorb legen und an der Kasse bezahlen oder sich auch mit Freunden zum Shoppen verabreden – mithilfe von Avataren. 

„Das Potenzial für Anwendungen von KI im Handel ist immens“, ist Beetz überzeugt. Das gilt insbesondere für den Einzelhandel, in dem die Filialen bislang wenig digitalisiert sind. Shopmanager können per K4R für ihre Filiale Bestands- und Verkaufsdaten abfragen und ihr Sortiment auf die spezifischen Wünsche ihrer Kunden zuschneiden. Was kauft der Kunde wann? Warum geht das Produkt in dem einen Geschäft, aber in dem anderen nicht? Welchen Einfluss hat die Platzierung auf das Kaufverhalten? K4R versetzt Regionalleiter in die Lage, die einzelnen Filialen miteinander vergleichen und ihr Sortiment entsprechend anpassen zu können.  

Die Blackbox Einzelhandel verwandelt sich auf diese Weise in eine Whitebox. Die Geschäfte haben die richtige Ware zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zur Verfügung. Das Auffüllen der Regale übernehmen dann Roboter, die sich aus dem Lager der Filialen bedienen. Diese wiederum erhalten bei der Anlieferung nur noch filialindividuelle Waren, das zeit- und kostenintensive Aus- und Umpacken entfällt. 

Wendig und schlau: Der Roboter „Donbot“ ist eine Eigenentwicklung.   © Mario Hoppmann / AWI  
Plakat draußen
Die VR-Brille hilft beim Bewegen in der virtuellen Welt …   © Mario Hoppmann / AWI  
Prof. Michael Beetz mit Greifarm
… und die AR-Brille in der realen Welt. Welches Produkt darf es sein?   © Lorem ipsum Donor  

Vier Fälle für mehr Effizienz und besseren Kunden-service definiert das auf zunächst drei Jahre angelegte Projekt: eine intelligente Intralogistik, zu der das Auffüllen der Regale und das Management des Filial-lagers zählt; den optimalen Filialaufbau, mit einer auf den Standort angepassten Zusammenstellung und Platzierung des Sortiments; die Entwicklung eines autonomen Serviceroboters, der beim Bestücken der Regale mit Waren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützt sowie einen Kühlschrank, der in der Lage ist, seinen Warenbestand selbstständig zu er-kennen, zu verfolgen, zu verwalten und zu verkaufen.  

„Durch das Forschungsprojekt können wir viele Entwicklungspotenziale erkennen und in unseren Arbeitsalltag integrieren. So schaffen wir für unsere  Mitarbeiter in den Märkten neue Freiräume, um Kunden zu beraten oder beispielsweise neue Services wie ‚Express-Abholung‘ umzusetzen“, sagt Roman Melcher, als dm-Geschäftsführer verantwortlich für das Ressort IT/dmTECH. Europas größter Drogerie-markt mit rund 3.700 Märkten ist einer der Kooperationspartner von K4R; der Regalaufbau und die  Waren im zweiten Stock des IAI stammen von dm.

„Diese Zusammenarbeit ist ein Riesenpfund für Bremen. Gemeinsam befinden wir uns bei KI-basierter Robotik bundesweit in der absoluten Spitzengruppe.“

© Universität Bremen
Keine weiten Wege beim Einkaufsbummel! Keine weiten Wege beim Einkaufsbummel!Keine weiten Wege beim Einkaufsbummel!Keine weiten Wege beim Einkaufsbummel!Keine weiten Wege beim Einkaufsbummel!Keine weiten Wege beim Einkaufsbummel!   © Mario Hoppmann / AWI

Geleitet wird das Projekt vom Bremer Unternehmen team neusta GmbH. Das IAI nimmt die zentrale wissenschaftliche Rolle im Konsortium wahr, es verantwortet vor allem die Entwicklung der Wissensplatt-form. Ebenfalls maßgeblich beteiligt ist ein weiteres Mitglied der U Bremen Research Alliance, das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). „Diese Zusammenarbeit ist ein Riesenpfund für Bremen“, meint Michael Beetz. „Gemeinsam befinden wir uns bei KI-basierter Robotik bundesweit in der  absoluten Spitzengruppe und können hoffentlich  disruptive Fortschritte erzielen.“

„Sie sollen die Leute  begeistern und in ihnen den Wunsch wecken: Das hätte ich auch gerne.“

Prof. Michael Beetz mit Greifarm
Dennis Mronga vom DFKI will einen Service- roboter entwickeln.   © Lorem ipsum Donor

Ähnlich wie der Prototyp „Donbot“ wird das DFKI einen mobilen Serviceroboter entwickeln, der nicht nur das digitale Abbild eines Drogerie-Marktes erstellt, sondern er wird sich in die Abläufe und Strukturen einer Filiale integrieren, indem er beim Einräu-men und dem Transport der Waren hilft. „Das ist schon eine Herausforderung, wenn man bedenkt, dass Kunden durch die Gänge laufen oder Hindernisse wie Einkaufskörbe im Weg stehen können“, erzählt Dennis Mronga, Projektleiter K4R am DFKI- Forschungsbereich Robotics Innovation Center. Der Roboter muss ihnen nicht nur ausweichen können, er muss auch in der Lage sein zu entscheiden, welches Regal er zuerst anfährt und welches der beste Weg dorthin ist. „Wir wollen, dass er intelligent handelt und reagiert. Dabei nutzen wir die Informationen aus der Softwareplattform, die das IAI erstellt.“ 

Diese Wissensdatenbank ist ein zentraler Baustein des Projekts. Das übergeordnete Ziel ist die Schaf-fung einer Open-Source-Plattform, offen für alle, jeder und jede soll die Technologie nutzen können, ob Kunde, Händler oder Forschende. „Pilot- und Ein-stiegsanwendungen werden ein extrem wichtiger Faktor für den Erfolg des Projekts sein“, meint Beetz: „Sie sollen die Leute begeistern und in ihnen den Wunsch wecken: Das hätte ich auch gerne.“ 

www.knowledge4retail.org

Sonderforschungsbereich EASE

Alltagsaktivitäten im Haushalt wie einen  Tisch zu decken oder zu kochen sind für Roboter eine hochkomplexe Angelegenheit. Sie zu beherrschen, würde der Robotik völlig neue Anwendungsperspektiven eröffnen, gerade in einer altern-den Gesellschaft. Der von der Deutschen  Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Sonderforschungsbereich EASE („Everyday  Activity Science and Engineering“) am Institut für Künstliche Intelligenz der Universität Bremen will Roboter in die Lage versetzen, diese Aktivitäten in vollem Umfang zu be-herrschen, autonom auszuführen und dabei zu lernen. Zugleich wird mit „openEASE“ der Forschung und Entwicklung ein web-basierter Dienst zum Wissensaustausch bereitgestellt mit weltweit anfallenden Roboter- und Aktivitätsdaten. Hat ein Roboter beispielsweise eine Tätigkeit wie das Be-stücken eines Regals gelernt, kann er diese Fähigkeit an andere weitergeben.

www.ease-crc.org

Universität Bremen
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie