Aggressive Weltraumstrahlung, eine toxische Atmosphäre, Temperaturen von durchschnittlich minus 65 Grad Celsius, ein sehr geringer Umgebungsdruck: Die Lebensbedingungen auf dem Mars sind alles andere als freundlich. Für das Überleben in  diesem extremen Umfeld forscht die Bremer Initiative „Humans on Mars“ an radikal neuen Lösungen, die auch den Menschen auf dem Planeten Erde zugutekommen sollen.

Von Rainer Busch

04. Okt 2023

Schlafen, arbeiten, essen: Die einzelnen Module haben unterschiedliche Funktionen. © Jens Lehmkühler / U Bremen Research Alliance   © Jens Lehmkühler/ U Bremen Research Alliance
Christiane Heinicke forscht an Wohnmodulen.   © Jens Lehmkühler / U Bremen Research Alliance

„Unser Ziel ist ein Konzept zu entwickeln, das auf dem Mars einsatzfähig ist.“

Wenn man darüber nachdenkt, Wohnmodule zu konzipieren, die von den Bewohner:innen über einen sehr langen Zeitraum nur sehr begrenzt verlassen werden können, dann hilft es, selbst einmal länger eingeschlossen gewesen zu sein. Christiane Heinicke hat zwölf Monate auf einer von der NASA errichteten Marsstation auf Hawaii verbracht, 2016 war das, mit fünf weiteren Menschen. Kontakte zur Außenwelt waren rar, der Austausch einer Botschaft mit der Kontrollstation nahm wie auf dem Mars 40 Minuten in Anspruch. Wenn sie einmal einen Fuß vor die Tür setzten konnte, dann natürlich nur im Raumanzug.

Die zylindrische Form gleicht die Druckunterschiede am besten aus.© Jens Lehmkühler / U Bremen Research Alliance
Die zylindrische Form gleicht die Druckunterschiede am besten aus.© Jens Lehmkühler / U Bremen Research Alliance

Heute leitet die Geophysikerin selbst die Entwicklung einer künftigen Marsstation, ihre Erfahrungen aus Hawaii fließen in das Projekt mit ein. „Die Umgebung ist auf Dauer unheimlich monoton, dem Gehirn fehlt die Stimulanz“, erzählt die 37-Jährige. „Deshalb braucht es im Innenraum zum Beispiel flexible Formen und Farben. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig für eine Crew Gemeinschafts- und Rückzugsräume sind.“

Wie eine Unterkunft aussehen könnte, zeigt ein Modell eines Wohnmoduls, das im Zentrum für Angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen steht, an dem Heinicke wissenschaftliche Mitarbeiterin ist. Es ist sieben Meter hoch, fünf Meter im Durchmesser und hat die Form eines Zylinders, der die Druckunterschiede am besten ausgleicht. Die sind gigantisch, etwa sechs Millibar beträgt der Druck auf dem Mars, in der Station ist es ein Bar. Eine metallene Hülle soll dazu beitragen, die Crew von sechs Personen vor der dünnen und giftigen Atmosphäre zu schützen. Sie besteht zu 95 Prozent aus Kohlendioxid, die Außentemperatur beträgt durchschnittlich minus 65 Grad Celsius. Fenster sucht man deshalb vergeblich.

Sieben Monate dauert ein Flug von der Erde zum Mars, bis zu eineinhalb Jahre könnte ein erstes Team von Forschenden auf dem Planeten bleiben, ehe sich ein neues Zeitfenster für den Rückflug ergibt. In den 2040er-Jahren könnte eine derartige Mission Wirklichkeit werden. Doch wie die Besatzung mit Wasser versorgen, mit Energie, mit Nahrungsmitteln? Die Transportkapazitäten sind begrenzt, also kommt es darauf an, die vor Ort vorhandenen Ressourcen zu nutzen, möglichst nachhaltig und effizient. Eine Kreislaufwirtschaft ist das Ziel. „Wir brauchen für die Station zum Beispiel Lebenserhaltungssysteme, die Sauerstoff produzieren und Kohlendioxid binden“, sagt Heinicke.

Geforscht wird etwa an bioregenerativen Lösungen. Ein Team um die Wissenschaftler Dr. Cyprien Verseux und Prof. Dr. Sven Kerzenmacher hat eine geeignete Unterart von Cyanobakterien identifiziert, und zwar einer Blaualge. Gefüttert mit Marsstaub und Marsatmosphäre ist sie in der Lage, Sauerstoff zu produzieren und Biomasse zu bilden, die zur Herstellung von Nahrungsmitteln genutzt werden kann. In einem zweiten Schritt ist dem Team bereits die Anzucht von Entengrütze gelungen, einem nährstoffreichen Pflanzengewächs, das schnell wächst und durchaus essbar ist. Andere wiederum untersuchen, wie aus Regolith, dem staubigen Material der Marsoberfläche, mithilfe von Mikroorganismen, Kohlendioxid aus der Atmosphäre und Solarenergie Metall gewonnen werden kann.

Ein wichtiger Aspekt ist auch die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine. Roboter und künstliche Intelligenz sollen die Crew unterstützen auf ihrer langen Reise. Die Systeme müssen verlässlich, bedienerfreundlich, vor allem aber vertrauenswürdig sein. „Was ich an ,Humans on Mars' spannend finde, ist, dass es mehr ist als ein Ingenieurprojekt“, sagt Heinicke. „Denn wir brauchen nicht nur zuverlässige Technologien, sondern die Menschen müssen sich im Zusammenspiel mit der Technik wohlfühlen.“

„Wir forschen an der Entwicklung von Werkstoffen, die vor der Strahlung schützen und diese gleichzeitig in Energie umwandeln.“

So wurden bei der Konzeption der Wohnmodule auch Rat von Psycholog:innen, Verhaltensforscher:innen und Philosoph:innen eingeholt. Allein von der Universität Bremen engagieren sich 60 Wissenschaftler:innen verschiedener Fachbereiche für die Initiative, die vom MAPEX Center for Materials and Processes der Universität Bremen angestoßen worden ist. Aus der U Bremen Research Alliance sind zudem das DLR-Institut für Raumfahrtsysteme, das Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM, das Leibniz-Institut für Werkstofforientierte Technologien IWT und das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) mit ihrer Expertise beteiligt.

Will Weltraumstrahlen zur Energiegewinnung nutzen: Dr. Katharina Koschek, Abteilungsleiterin Polymere Werkstoffe und Bauweisen am Fraunhofer IFAM. © Jens Lehmkühler / U Bremen Research Alliance

Gefördert wird die Initiative mit insgesamt sieben Projekten vom Land Bremen. Eines davon beschäftigt sich mit Materialen zur Energiegewinnung aus Weltraumstrahlung. „Wir forschen an der Entwicklung von Werkstoffen, die vor der Strahlung schützen und diese gleichzeitig in Energie umwandeln“, sagt Dr. Katharina Koschek, Abteilungsleiterin Polymere Werkstoffe und Bauweisen am Fraunhofer IFAM.

Die Strahlung auf dem Mars besteht vor allem aus Protonen, wie sie auf der Erde etwa in der Strahlentherapie zur Behandlung von Tumoren genutzt werden. Mit neuartigen Verbundwerkstoffen aus Keramik und Polymeren könnte diese Strahlung genutzt werden, um Energie zu erzeugen. „Unsere Vision ist die Entwicklung einer sehr dünnen Zelle, die als Kleidungsstück verwendet werden kann, Energie produziert und zugleich den Körper schützt“, erzählt Koschek.

"Die Wissenschaftler:innen sind sich einig, dass die Forschung an Technologien für das Überleben auf dem Mars auch uns Erdlingen weiterhelfen wird.“

An dem Vorhaben zur Energiegewinnung sind auch Forschende der Universität Bremen und des DLR beteiligt. Die Zusammenarbeit der Forschungseinrichtungen sei einer der bereicherndsten Aspekte, findet die Chemikerin, die nach Studium und Promotion wieder nach Bremen zurückgekommen ist, weil sie die angewandte Forschung reizt. Das ist bei Christiane Heinicke ganz ähnlich. Sie hat es nach ihrer Hawaii- Erfahrung nach Bremen verschlagen, weil ihr in der Hansestadt die Möglichkeit geboten worden war, einen extraterrestrischen Lebensraum aufzubauen, und sie das Zusammenspiel der verschiedenen Wissenschaftsbereiche schätzt.

Die Wissenschaftler:innen sind sich einig, dass die Forschung an Technologien für das Überleben auf dem Mars auch uns Erdlingen weiterhelfen wird, zum Beispiel im Umgang mit dem Kohlendioxid. „Wir wollen es der Atmosphäre entziehen, um es als Rohstoff für den Kunststoff nutzen zu können“, sagt Koschek. Eine solche Entnahme von CO2 habe auch bei der Bekämpfung des Klimawandels ein großes Potenzial. Sie hoffe zudem, dass die Forschung dazu führen könnte, effizienter mit Ressourcen wie Wasser und Energie umzugehen. Denn was auf dem Mars knapp ist, wird auf der Erde allzu oft verschwendet.

Ein neuer Fallturm für Bremen

Seit 1990 ist der 146 Meter hohe Fallturm am Zentrum für Angewandte Raumtechnologie und Mikrogravitation (ZARM) ein weithin sichtbares Symbol für die „City of Space“, für die Weltraumstadt Bremen und die Forschung in der Schwerelosigkeit. 2022 kam ein mit 16 Metern vergleichsweise kleines Forschungslabor hinzu, das – anders als sein großes Gegenstück – ohne Vakuum funktioniert und daher viele Hundert Experimente am Tag ermöglicht. Dem „GraviTower Bremen Prototyp“ könnte ein weiterer Turm mit einer Länge von 120 bis 130 Metern folgen. Im GraviTower lassen sich Experimente bei Schwerelosigkeit und reduzierter Schwerkraft durchführen. So könnten beispielsweise Materialeigenschaften unter Marsgravitationsbedingungen untersucht werden. Aber nicht nur für Experimente für „Humans on Mars“ sind die Falltürme interessant, sondern für Teams von Forschenden aus der ganzen Welt. Die Strahlkraft der naturwissenschaftlichen Forschung in Bremen werde durch einen großen GraviTower erheblich zunehmen, ist ZARM-Direktor Prof. Dr. Marc Avila überzeugt.

www.zarm.uni-bremen.de/de/fallturm

Beteiligte Kooperationspartner:

Universität Bremen
Leibniz-Institut für Werkstofforientierte Technologien
Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz
DLR Institut für Raumfahrtsysteme
Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung