Von Rainer Busch
24. Sep 2024
Draußen im Museumshafen, direkt gegenüber der Ausstellung, sind die Großen vertäut: der Bergungsschlepper „Seefalke“ etwa, das Feuerschiff „Elbe 3“, und der Walfänger „Rau IX“ mit seiner Harpune am Bug. Drinnen, hinterm Eingang, fällt der Blick zunächst auf die Kleinen: auf 1.500 Modellschiffe, die in Wellen in den Raum ragen und die Besucher:innen einstimmen auf das, was da kommt – auf die Vielfalt und Faszination der Schiffswelten.
Schiffe sind Sehnsuchts- und Arbeitsorte, verbinden Menschen und Kontinente, erzeugen Reichtum und ermöglichen die Ausbeutung der Ozeane. Oft sind sie technische Meisterwerke, Zeugnisse menschlicher Innovationskraft und auch ihrer Lebenswelten. „In der Ausstellung nehmen wir das Schiff in den Blick. Wir zeigen, wie Schiffe konstruiert, gebaut und betrieben werden“, erklärt Prof. Dr. Ruth Schilling, Direktorin des DSM. „Vor allem aber wollen wir deutlich machen, wie relevant sie für unser Leben sind.“
Das geschieht in Themenbereichen wie „Schiff & Umwelt“, „Schiff & Ausrüstung“, „Schiff & Physik“ und „Schiffbau“ oder eben mit der Installation eines Forschungsschiffes, das mit seiner Länge von 34 Metern, 7,5 Metern Breite und 13 Metern Höhe im Zentrum der Ausstellung steht. Hier, wie überall in „Schiffswelten" laden interaktive Mitmachstationen und zahlreiche Exponate die Museumsgäste zum Ausprobieren und Entdecken ein. Gerade Kinder und Familien werden in den Räumen gezielt angesprochen. „Wir wollen möglichst breitenwirksam sein“, betont Schilling.
Auf der Brücke des Forschungsschiffes werden Gäste zu Seeleuten, studieren Seekarten, entwickeln Routen und steuern das Schiff. Auf dem Arbeitsdeck nehmen sie mithilfe eines Unterwasserroboters Proben vom Meeresgrund. Im Laderaum sind weitere Forschungsgeräte zu entdecken. In Medienstationen erzählen Wissenschaftler:innen von ihrer Arbeit und ihren Expeditionen, etwa von MOSAIC, der größten Arktisexpedition aller Zeiten, die von Mitgliedseinrichtungen der U Bremen Research Alliance koordiniert wurde.
Nicht zufällig erinnert die Installation an die „Polarstern“, mit der Forschende aus 20 Nationen während der MOSAIC-Expedition unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI), Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, ein Jahr lang im Eis unterwegs gewesen sind. Das AWI, ein Nachbar des DSM, war eng an der Entwicklung der Installation beteiligt.
Zu sehen sind auch Exponate aus anderen Mitgliedseinrichtungen der U Bremen Research Alliance, zum Beispiel ein Unterwasserroboter-Simulator, der vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen stammt. Expertise wurde außerdem vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) beigesteuert, und zwar in Form von intensiver Beratung zum Thema pH-Wert-Analysen. „In ganz vielen Bereichen der Ausstellung zeigt sich die enge Zusammenarbeit der Institutionen der U Bremen Research Alliance“, betont Schilling, die zugleich die inhaltliche Konzeption der „Schiffswelten“ leitend verantwortet.
Die Wurzeln der Ausstellung reichen zurück bis ins Jahr 2014. Damals begann im Herbst die konzeptionelle Arbeit. Schnell war klar, dass auf die Schätze aus dem mehr als 60.000 Objekte umfassenden Museumsdepot zurückgegrien werden sollte. Und klar war auch, dass die „Schiffswelten“ durch eine zweite, nicht minder bedeutsame Ausstellung im Gründungsbau des Architekten Hans Scharoun ergänzt werden sollte. Nicht das Schiff an sich, vielmehr das Schiff als Medium für Austausch, Mobilität und Kommunikation soll bei „An Bord – Schiffe verändern die Welt“ im Mittelpunkt stehen.
Doch die Sanierung des baufälligen Erweiterungsbaus, der Heimstätte der „Schiffswelten“, verschlang mehr Geld als erwartet. Für die Modernisierung des Stammhauses fehlen daher die Mittel. Wann „An Bord“ gezeigt werden kann, ist offen. „Wir hoffen sehr auf weitere Unterstützung. Die ,Schiffswelten‘ erzählen nur die Hälfte der Geschichte“, sagt Schilling.
Ausstellungen sind immer Teamwork. Neben den DSM-Mitarbeitenden sind spezialisierte Museumsgestalter:innen für die räumliche Wirkung und die Atmosphäre verantwortlich – eine Zusammenarbeit, die wechselseitiges Verständnis erfordert. „Als Kuratorin habe ich bestimmte Themen im Kopf. Wir ringen dann darum, wie sie umzusetzen sind.“ Zu sehen ist dies etwa beim Thema Fischfang, einem Unterpunkt von „Schiff & Umwelt“. Zum einen geht es darum zu zeigen, wie der Fischfang durch technologische Entwicklungen in neue Dimensionen vorgestoßen ist, zum anderen sollen auch die ökologischen Kosten sichtbar
werden. In der Ausstellung zeugt ein rostiges Grundscherbrett, das über den Meeresboden gezogen wird und Bodenlebewesen schädigt, von diesem Dilemma.
Die Historikerin Ruth Schilling ist nicht nur Geschäftsführende Direktorin des DSM und leitende Kuratorin der Ausstellung, sie hat an der Universität Bremen zudem eine Professur für Maritime Geschichte inne. Es ist daher kein Wunder, dass auch Studierende und Promovierende in die Arbeit an dieser und weiteren Ausstellungen einbezogen sind, bei der Recherche etwa und der konkreten Planung.
Zum Beispiel die Doktorandin Deike Reddig, die sich in ihrer Masterarbeit mit Frauen auf Werften beschäftigt und den Bereich „Schiffbau“ kuratiert hat. Womöglich wird sich Anja Binkofski mit ihrer Doktorarbeit zu Schiffsrecycling in Norddeutschland irgendwann ebenfalls in der Ausstellung wiederfinden. Sie hat ihr Dissertationsprojekt im DSM am 1. Mai 2024 begonnen. Denn Forschungszonen, die immer wieder neu zeigen, woran im DSM gerade gearbeitet wird, sind Teil des Konzepts von „Schiffswelten“. So basieren die Informationen in der Ausstellung über Munition im Meer und über Gastarbeiter:innen im Schiffsbau auf Forschungsvorhaben innerhalb des DSM.
Ruth Schilling kann sich noch mehr Bezüge auch zu aktuellen Themen vorstellen, wie etwa der viel diskutierten CO2-Speicherung im Meer. „Mein Traum ist ein Museum, das lebendig ist und bleibt, das offen ist, überrascht und zu Debatten anregt“, sagt die Wissenschaftlerin, die 2014 aus Berlin nach Bremerhaven gekommen ist, der Heimatstadt ihres Vaters. Seitdem hat sie wesentlich zur Modernisierung und Wandlung des DSM beigetragen, das sich lange ausschließlich als Vermittler von Technikgeschichte verstanden hatte.
Heute lautet das Motto: „Vom Meer aus die Welt begreifen.“ Zu einem Ort, der die Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Mensch und Meer reflektiert, soll das DSM werden und sich durchaus mit Themen wie Klimawandel, Tourismus, Handel und Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Auch das Außengelände will
Schilling sanieren und attraktiver gestalten. „Dieses Haus hat sich komplett gewandelt. Wir sind ein ganz anderes Museum als noch vor wenigen Jahren. Die Region kann stolz sein auf das Deutsche Schifffahrtsmuseum.“
Dieser Wandel wird auch in der Ausstellung sichtbar, die mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, des Landes Bremen und der Stadt Bremerhaven sowie mit einer Million Euro aus dem Förderprogramm „Investitionen für nationale Kultureinrichtungen in Deutschland“ von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien unterstützt worden ist. Hell, freundlich und mit Signalfarben aufgegliedert hat sie auf 2.800 Quadratmetern nichts von verstaubter Oldtimeratmosphäre.
Sehenswert ist etwa der Bereich „Schiffbau“, der den kompletten Lebenszyklus eines Schiffes zeigt: von der Konstruktion über den Bau und die Taufe bis hin zum Abwracken. Eine Gerüststruktur erzeugt Werftenstimmung, auf großen Bildflächen sind Arbeiter:innen zu sehen, die von ihren Aufgaben erzählen. Die Projektion eines Stapellaufs vermittelt einen Eindruck von der Größe und Kraft dieses Moments. Und es wird deutlich: Ein Schiff zu bauen, war und ist ein einzigartiges Unterfangen.
Maritimes digital entdeckt
Noch bis zum 03.11.2024 können in der Sonderausstellung „SEH-STÜCKE – Maritimes digital entdeckt“ im Deutschen Schifffahrtsmuseum digitale Einblicke ins Innere von 24 historischen Navigationsinstrumenten, Medizinflaschen, Walzähnen und Beifunden der „Bremer Kogge“ gewonnen werden. Im Rahmen des Gemeinschaftsprojektes „Digital Materialities: Virtual and Analogue Forms of Exhibiting Museum Artefacts“ (DigiMat) wurden die Ausstellungsstücke am MAPEX Center for Materials and Processes der Universität Bremen mittels 3D-Röntgenmikroskop erfasst und so auf ganz neue Art sicht- und erfahrbar gemacht. Die digitalen Abbilder ergänzen die historischen Exponate um ganz neue Ansichten. Aus dem technischen Einsatz der digitalen Erweiterung eröffnen sich ungewöhnliche Perspektiven auf das Innenleben der Ausstellungsstücke.